erik
 
 
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Biss II (2002),

für Klarinette und Tenorbanjo John Corbett (Klarinette), Seth Josel (Tenorbanjo)

 
 

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In "BISS II" versuche ich das Verhältnis von geformter, fest organisierter Zeit (Wiederholungen) und von eher augenblickhafter Zeit (Unerwartetem) auszuloten. Im Titel der Komposition stecken zudem zwei Wörter, die mehr oder weniger für das Werk eine Rolle spielen. Zunächst steht das Wort "Biss" (alte Rechtschreibung Biß) allgemein für Lebendigkeit, Energie und Temperament sowie für die starken Kontraste des Stückes. Das lateinische Wort "bis" bedeutet "zwei mal" und spielt darauf an, dass in diesem Duo eigentlich ein Solopart zwei mal enthalten ist. Es werden nämlich in beiden Stimmen bestimmte musikalische Elemente exponiert (Teil [A]) und von beiden Instrumenten, in teils ähnlicher, teils variierter rhythmischer Form aufgegriffen (Liegeklang, langes Glissando, Staccato-Töne, kleine, schnelle Figuren). Zu Beginn steht allgemein ein Prozess vom Liegeklang (gleiche bzw. ähnlich lange Einsatzabstände) zu immer mehr Bewegung und kleineren Einsatzabständen, sowie ein Changieren von Annäherung und Entfernung im Ambitus (Tonraum). Die Elemente verdichten sich, indem die Einsätze der Duopartner immer schneller aufeinander folgen und sich schließlich hoquetus-artig ineinander verzahnen (Teil [B], erstmals T.24). Die Verdichtung dieses Hoquetus (Formteil [B’], [B’’] - scheinbar chaotisch - folgt einer Ordnung von quasi "irrational" langen geloopten Formsegmenten. Damit meine ich hier, im weiteren Sinne, einen längerer Zeitabschnitt aus mehreren Takten, der mit jeweils 30 Sekunden insgesamt gleich lang bleibt, der im jeweiligen Ereignisdichte-Verlauf, jeweils innerhalb einer Stimme vom einen zum nächsten Durchlauf (siehe Formabschnitt-Buchstaben) in den Einsatzabständen (Klang/Ereignis-Pause) ähnlich organisiert bleibt, wobei Binnenrhythmus (rhythmische Organisation) und Tonhöhenorganisation aber mäandrieren und variieren. Innerhalb dieses Zeitabschnittes bleibt also die zeitliche Struktur (Einsatzabstände) in einer Stimme ähnlich, die Tonhöhen und Klangfarben verändern sich. Einsatzabstände (Klang-Pause) der Instrumente, die ungefähr im Verhältnis des Goldenen Schnittes von Formsegment zu Formsegment dichter werden, habe ich aus einem eigenen geometrisch selbst aufgezeichneten "Zeitnetz" gewonnen. Ich definierte eine 30cm-Strecke (Dauer 30 Sekunden) für die Organisation der Ereignisse (Klang-Pause) innerhalb eines Formsegmentes (Buchstaben) in jedem Instrumentalpart. Ich zeichnete auf Millimeterpapier Linien, die in unterschiedlichen Winkeln schräg die waagerechte Zeitachse kreuzen (40° rechts für Klarinettenpart, 92° nach links für den Banjopart). Die für jedes Instrument unterschiedlichen Millimeterabstände, die sich ergaben, wenn die Linien im o.g. Winkel schräg auf die Zeit-Achse treffen, habe ich millimetergenau ausgemessen und (tw. mit Rundungs-Toleranzen) in Schläge (Tondauern bzw. Pausen-Dauern) umgerechnet, wobei 1 Viertelschlag = 10 mm definiert wurde. Ein sicher ungewöhnliches oder auch recht „abstrakt“ klingendes Verfahren vielleicht - aber eines, das bzgl. Rhythmuspotential und Klangdichte-Organisation in eine spannende Entdeckungsreise beim Komponieren führte. Innerhalb der Gestaltung der Zeitstrecken und Einsatzabstände habe ich mir bewusst Freiheiten gelassen. Zudem wurde auch dieses geschilderte Prinzip nicht einfach als eine Art geometrisches “Kopier” oder “Copy and Paste” verfahren benutzt (indem z.B. jedes Instrument selbstähnliche, geometrisch inspiriert, ähnlich organisierte Zeitstrukturen im nächsten Durchlauf wiederum spielen würde). Dieses Moment schien mir zu “didaktisch”, zu “handwerklich”, als Zwangsjacke gegen die eigene Intuition gerichtet. Ich tauschte also auch die Rollen der Instrumente aus: Zunächst erklingt nämlich (nach der Einleitung des Stückes) nur ein komplexer Loop, bei dem Klarinette und Tenorbanjo ineinander verzahnt spielen. Der komplexe Loop 1 wird dann im nächsten Durchlauf von einem Intrument wiederholt, während das andere schon gleichzeitig, den nächsten, den dichteren Formabschnitt, in der Überlagerung spielt. Während danach der andere Duopartner den Formabschnitt seines Partners wiederholt, spielt das andere Instrument wieder einen neuen, dichteren Loop usw. Schließlich wird die fester organisierte Loop-Form in Teil [C] in der Ereignisdichte wieder ausgedünnt und, ab T.87/88 wird das Prinzip plötzlich aufgebrochen. Stattdessen wird die Idee des Anfangs wieder aufgegriffen. Das Prinzip zwischen statischem Liegeklang (Klarinette) und plötzlichem Staccato-Ereignis (Banjo) habe ich im Schlussteil (ab T.87) bewusst, fast als “Reprisen-artiges” Prinzip - aufgegriffen, wollte es aber auf die Spitze treiben und verwandeln (z.B. Dehnung der Liegeklänge, Zirkularatmung, Mehrklänge (die zuvor kurze Eregnisse, im rhythmischen Hoquetus waren) nun in den “statischen” Liegeklang plötzlich integriert, ihn “unter-” aber nicht abbrechend..., vgl. T.95, 97 etc.). Erik Janson, erweiterter Text, 04.10.2004
 
     
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