erik
 
     
     
   

Multitascing nymphs ...utopic moments (2010),

für Flöte (auch Piccolo, Alt- und Bassflöte), Klarinette (auch Bassklar.), Violine, Violoncello und Klavier

 

 
 

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Multitascing nymphs … utopic moments entstanden im Frühjahr 2010, gehört zu einer Reihe von neueren Werken mit den Worten „Nymphe“ im Titel. Nymphen, auch bekannt als hybride, unfassliche Fabelwesen – ich nenne so gerne auch liebevoll die Klanggestalten, mit denen ich kompositorisch um gehe. Nach Giorgio Agambens Buch Nymphae, das sich auf bildende (meist antike) Kunst bezieht aber auf Musik übertragbar ist, ist die Nymphe „weder emotionales Material, dem der Künstler eine neue Form geben soll, noch eine Form, in die er seine Gefühlsinhalte einbringen kann. Die Nymphe ist ein Ununterscheidbares aus Original [d.h. neuem] und Wiederholung, aus Form und Materie. Doch ein Sein, dessen Form punktuell mit seiner Materie zusammenfällt und dessen Ursprung von seinem Werden nicht unterschieden werden kann, nennen wir gewöhnlich Zeit (…).“(1)

Es finden sich im Werk von Beginn an und immer wieder teils komplexe Überlagerungen von für unsere Jetzt-Wahrnehmung und Erinnerung mehr oder weniger „leichter“, schwerer bis hin zu kaum fasslichen Formen der Wiederholung (unterschiedlich wahrnehmbar wegen unterschiedlich langer Zeitstrecken der wiederholten (rhythmischen) Strukturen) sowie Elementen permutierender kleiner melodischer Motive oder Punktklänge, etc. die ins Sukzessive (z.B: Mehrklänge) umschlagen. Das Wort „Multitasking“ Titel spielt darauf an, dass durch die Form des Werkes Interpreten wie Hörern durch die Vielschichtigkeit, das Immer-wieder-Umkippen von Sukzessivität in Simultaneität, durch Polyphonien (auch diversester Elemente) und durch das Schwanken zwischen Neuem/Plötzlichen und Wiederholungsmomenten, durch verschiedene Spannungen zwischen Klang und Stille etc. ständig verschiedene Formen der Aufmerksamkeit, meist gleichzeitg abverlangt werden. Das sogenannte Multitascing (das Sich-Konzentrieren auf mehrere Dinge gleichzeitig) ist z.B. in unserer globalisierten Cyber-Gesellschaft, glaubte man nur Computerfirmen, Handy-Herstellern o.ä., schon eine angeblich „überlebenswichtige“ Fähigkeit. Aber dadurch kann auch, wie z.B. Schirrmacher in seinem Beststeller Payback (2) richtig schreibt, unsere Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit für Tiefsinnigeres [z.B.Kunst], degenerieren, immer oberflächlicher werden, ja wird unser Gehirn allmählich von den Maschinen sogar umgeformt.

Indem ich als Komponist versuche bewusst auf die immer komplexer werdenden Kommunikationsformen und immer größere Aufmerksamkeitsanforderungen, z.B. durch die Massenmedien (wie Internet, Smartphones, Multifunktionshandys etc.) mit einer Musik zu antworten, die uns gerade nicht den Alltag vergessen macht oder eine „schöne“, direkt fassliche oder „verständliche“ Gegenwelt zu unserer gesellschaftlichen Alltagsrealität liefert (damit Menschen im Alltag wieder System-unkritisch „funktionieren“). Dadurch versuche ich ein kritisches Angebot zu machen. Kunst sollte Fragen aufwerfen, dem Individuum und der Gesellschaft Spiegel vorhalten. Die utopischen Momente sind dann vielleicht am Ende noch dort, wo ein Hörer sich mit der Form eines ästhetisch für ihn subjektiv „ansprechenden“ Werkes identifiziert (oder auch nicht), wo Hörer oder das komponierende Individuum und auch der Interpret den oft pragmatischen Trends und Moden gegenüber widerständig bleiben.

(1) Giorgio Agamben: Nymphae, Berlin 2005, S.16. (2) Frank Schirrmacher: Payback, Blessing, München 2009

 
 

 

 
     
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