erik
 
     
 

Fragmente nach Rimbaud (2005),

für 4 Frauenstimmen, für die belcanto Solisten

 
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in Fragmente nach Rimbaud beschäftigte mich das Spannungsfeld der Oppositionen zwischen Ungewissheit/ irdischem Dasein/ Vergänglichkeit/ menschlicher Unzulänglichkeit, ja Schuldkomplex und der Utopie von Ewigkeit/ Zeit-Enthobenheit/ Abwesenheit von Sehnsucht, die mich in Rimbauds Texten besonders faszinierten. Es war weniger der Aspekt, dass auch Rimbaud an der Grenze zur Moderne die Form der Codierung zwischen „schön“ und hässlich“ zum Kippen brachte, der mich faszinierte (bei Rimbauds prosaischeren Gedichten wirkt dies anders, rätselhafter noch als z.B. bei Baudelaire, der bei der Umcodierung (schön = hässlich) weiterhin, ausgesprochen formschön“schrieb. klick 1* In diesem Sinn versuchte ich – ein Nebenaspekt – das Spannungsverhältnis zwischen „Schön“ und „Hässlich“ im Rimbaudschen Textgehalt in der musikalischen Gestaltung offen auszuloten.In der Musik wollte ich aber vor allem die oben zuerst genannten Oppositionen im Textgehalt musikalisch erfassen und formen. Dies betrifft sowohl die Großform, d.h. die Aufeinanderfolge und zeitlichen Proportionen der 5 ineinander übergehenden Fragmente. Dies betrifft auch die Struktur, d.h. die musikalischen Details – z.B. das Innenleben der Klänge, mit Kontrasten und Nuancen zwischen Vibrato und non vibrato, zwischen mikrotonaler Abweichung und strengem Unisono, die Dynamikkontraste, die Oppositionen zwischen Prinzipien der „Wiederholung“ und Variation sowie zwischen strengeren, kanonischen Prinzipien und homophonerer, freierer Textur; und dies betrifft den Kontrast zwischen Vorhersehbarkeit und Unvorhersehbarkeit. Ich wollte komponieren, ohne jeweils der Textsemantik (bzw. meiner Auslegung des Textes) „1:1“ zu folgen. Andererseits habe ich zuvor auch kein festgelegtes musikalisches Formschema und keine vom Text losgelöste musikalische Struktur entworfen. Meinen Umgang mit Rimbauds Sprache würde ich also nicht als „Vertonung“ im klassischen, traditionellen Sinne beschreiben, wo Textsemantik die musikalische Form und Gestaltung noch eher vorgab. Es ging mir aber noch viel weniger um eine vom Text oder dessen Lebensbezug abstrahierte Präkomposition einer musikalischen Form, in die Text einfach als pures „Material“ eingefügt würde. Dazu spürte ich beim Komponieren zu sehr – und immer mehr - den Ausdruck und Lebensbezug der Rimbaud-Gedichte. Reines bzw. Bezug-loses musikalisches Formenspiel, losgelöst von meiner unmittelbaren ästhetischen Erfahrung des Textes war also zu vermeiden. Vielleicht ist es immer einfacher ein Werk – vor allem sein eigenes - „negativ“ zu beschreiben (d.h. zu beschreiben was man nicht wollte) als zu erfassen, was man wollte und wie die Form sich quasi selbst erzeugte. Textlektüre und die Umsetzung in musikalische „Zeichen“ oder besser: meine Auslegung und Kombination/ Fragmentarisierung des Textes und das Entstehen der musikalischen Form beeinflussten sich beim Komponieren jedenfalls wechselseitig. Die Texte wählte ich nach einer Art subjektiver, „ertastender“ Lektüre des gesamten lyrischen Werkes von Rimbaud aus. Das Werk ist <belcanto> gewidmet und entstand als Auftragswerk für die „Tage Alter Musik Kelkheim 2005“.

Texte (Auslassungen/Änderungen des Komponisten und Quellenangaben in [ ] Titel vom Komponisten)

I

Prolog misterioso [aus: „Les Étrennes des Orphelines“]

La chambre

Nous ne pouvons savoir! [...] Wir können nicht wissen! [...]
Notre pâle raison nous cache l ´infini! [...] Unsere blasse Vernunft verbirgt uns die Unendlichkeit! [...]
Le doute, morne oiseau, nous frappe de son aile Der Zweifel düstrer Vögel schlägt nach uns mit seinen Flügeln
[...] Et l ´horizon s´enfuit d´une fuite éternelle! Und ewig entrinnt der Horizont dem Blick! [...]
[...] Le grand ciel est ouvert! Der große Himmel ist offen!
Les mysteres sont morts [...] Die Geheimnisse sind tod [...].

III

Dinn! Dinn! Dinn! Dinn! Je pais l´air [ aus: „Fêtes de la Faim“]

[...] Dinn! Dinn! Dinn! Dinn! Je pais l´air Dinn! Dinn! Dinn! Dinn! Ich speise die Luft [...]
[...] Mes faims, c´est les bouts d´air noir; Mein Hunger ist die schwarze Luft;
L´azur sonneur [...] klingender Azur [...]

IV

Tu restras hyène [aus: „Une saison en enfer“]

Tui restras hyène[...], se récrie le démon [...] Du wirst Hyäne bleiben [...] schreit der Dämon auf [...]
„Gagne la mort avec (...) tes appétits, „Hol dir den Tod mit allen deinen Begierden
et ton egoisme et tout [t]es péchés capiteaux.“ und deiner Selbstsucht und allen Deinen Todsünden.“

V

C´est le repos éclairé ... [aus: „Veillées“, aus: Illuminations]

C´est le repos éclairé, ni fièvre ni langueur [...] Das ist die erstrahlende Ruhe, kein Fieber, kein Sehnen [...]
L´air et [...] monde point cherchés. La vie Luft und Welt ungesucht. Das Leben
*Etait-ce donc ceci? War´s also dies?
*Et le rêve fraîchit. Und der Traum frischt auf
est pleine d´ombre Das Zimmer ist voll Schatten

1* Harry Lehmann: Die flüchtige Wahrheit der Kunst . Ästhetik nach Luhmann, W. Fink: München, 2005. Der Lektüre und Gesprächen mit dem Berliner Kunstphilosophen verdanke ich viel Anregung und fühle mich bekräftigt, selbstkritischer, reflektierender und fragender mich mit Problemen der Form zu beschäftigen und deren Bezug zur Wahrnehmung (ästhetische Erfahrung) und zum Leben zu suchen.

 
     
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