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Gretchen ...Upgrade (2008),

für vier Sängerinnen mit Perkussionsinstrumenten

 
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komponiert für die <belcanto>-Solistinnen, beschäftigt sich mit Goethes Gretchen-Monolog in Faust I, wo Gretchen allein am Spinnrad in der Stube über ihr verzehrendes Verlangen nach Faust spricht. Den Text versuchte ich, in meiner Interpretation und übertragen auf die heutige Zeit, musikalisch um zu setzen. Dabei fragte ich mich, inwiefern die Fixierung der Frau auf den Mann (vor allem auf den einen Mann) heute in der schnelllebigen, globalen Welt (gerade auch der Beziehungen, Chat-Beziehungen, der Web-Partnerbörsen) einerseits längst romantische Illusion ist, andererseits aber immer noch – z.B. in Filmen oder dem Bild von dem „Mann fürs Leben“, dem „Traummann“ oder der Traumfrau fort lebt. klick 1* Beim Komponieren habe ich ferner versucht, Gretchens innere Spannung zwischen Ruhe und Unruhe bzw. ihre verlorene Ruhe - angesichts ihrer Fixierung auf Faust und ihrem Aufgehen im Liebesobjekt - auf die Spitze zu treiben oder aber auf einen schmalen Grad zwischen Ironie und ernst gemeintem Ausdrucksnuancen zu setzen. So erklären sich meine eigenen teils a-chronologischen Texteinsprengsel, Wiederholungen, Umstellungen, Text-Deformationen und vokale Geräuschklänge, die oft in Form einer ganzen zweiten Text- und Gesangsschicht erscheinen. Zudem hatte diese „Ruhe-Unruhe-“Opposition Konsequenzen für die Ereignisschicht der Perkussionsinstrumente, für deren zeitliche/rhythmische Organisation im Verhältnis zum Gesang: Die Sängerinnen spielen sie mal in Kontrast zu ihren gesungenen Klangbändern, dann wieder im Hoquetus, d.h. rhythmisch verschränkt mit Gesangsfetzen, Sprechen, Flüstern usw. Die musikalische Großform wiederum entstand an Dramaturgie und Semantik des Textes orientiert, folgt dessen Chronologie, zollt so diesem berühmten Gretchen-Monolog auf seine Art Tribut. Denn ich betrachte in meinen Vokalkompositionen Text nicht dekonstruktivistisch oder postmodern als bloßes, von tradiertem Sinn entleertes, austauschbares oder entgegen dem jeweiligen Ausdruck beliebig collagierbares „Material“, auch nicht rein experimentell als bloßes Mittel meiner kompositorischen Ideen. Eher umgekehrt - vom Textsinn als Form-Inspiration ausgehend - leitete ich hier die musikalische Form und Struktur (Zeitraster, bis hinein in Detailstrukturen) aus dem zuvor bzgl. Textmenge (Silbenmenge, Wortzahl), Semantik und Gesamtdramaturgie analysierten Text ab.

Text: Johann Wolfgang von Goethe: Faust I, (Verse 3374-3413)

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Wo ich ihn nicht hab,
Ist mir das Grab,
Die ganze Welt
Ist mir vergällt.

Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Mein armer Sinn
Ist mir zerstückt.

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Nach ihm nur schau ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh ich
Aus dem Haus.

Sein hoher Gang,
Sein´edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,

Und seiner Rede
Zauberfluß
Sein Händedruck,
Und ach, sein Kuß!

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Und küssen ihn,
So wie ich wollt,
An seinen Küssen
Vergehen sollt!

1* Seit Beginn der Industrialisierung bis hin zur heutigen globalisierten, medialen und einerseits rational-materialistischen und schnelllebigen Welt wird andererseits die Sehnsucht nach romantischer Liebe zunehmend zur vermarkteten Utopie und Sehnsucht gemacht. Vgl. Eva Illouz: Der Konsum der Romantik, Frankfurt/Main 2007

 
     
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